Monatsarchiv: Juli 2018

Mondmilch

Wie Milch fließt der Regen im Mondschein über das Kopfsteinpflaster. Mit leerem Blick beobachtet Rick die unzähligen Tropfen. Sie fallen auf die Steine, prasseln davon ab, strömen in kleinen Rinnsalen in die Fugen und werden schließlich zu Miniaturseen aus Mondmilch.

Rick konzentriert sich komplett auf den Regen und für ein paar kostbare Momente herrscht so etwas wie Ruhe in seinem Kopf.
Das war doch mal seine Stärke gewesen. Volle Konzentration. Das Ding eiskalt durchziehen. Einen klaren Kopf behalten. Warum hatte er es dieses Mal nicht hinbekommen? Dieses eine verdammte Mal.

Rick schüttelt seinen Kopf, blickt in den Becher in seiner Hand und schwenkt den Inhalt vorsichtig hin und her. Ein Schluck bleibt ihm noch.
Normalerweise hatte er kein Problem mit seinem Job. Er konnte nicht sagen, dass er liebte, was er tat. Aber wer konnte das schon. Er tat eben, was er gut konnte. Doch dieses Mal hatte er versagt.

Ihr Gesicht erscheint wieder und wieder vor seinem inneren Auge. Ihr trauriger Blick als sie sagte:
„Ich weiß, dass Tom dich geschickt hat. Ich weiß, dass du nichts dafür kannst, Rick. Lass es uns hinter uns bringen.“
Doch er konnte es nicht tun. Er hatte die Pistole sinken lassen. Sie war ihm um den Hals gefallen und flüsterte:
„Tu das nicht, Rick. Nicht für mich. Du weißt, was das bedeutet.“
Er wusste es. Er kannte die Regeln. Das Gesetz aus Blut und Blei. Er genoß für einen Augenblick noch ihre Wärme, ihren Duft, ihre weichen Finger auf seinem Arm. Dann schob er sie von sich. Nicht grob, aber bestimmt.

Sie blickten sich in die Augen, doch er konnte ihren Blick nicht lange erwidern. Sonst hätte er sich wieder darin verloren. Wie er sich damals schon darin verloren hatte, als sie in seine Klasse gekommen war. Wie er sich immer wieder darin verloren hatte, bis sie sich aus den Augen verloren hatten.
„Geh jetzt, Mia.“, stieß er hervor.
Sie zögerte noch. Blickte suchend umher. Rang mit den Worten. Doch es gab nichts mehr zu sagen außer:
„Danke, Rick.“

Als sie in den Regen hinauslief, sah er ihr noch ein Weile hinterher. Warum musstest du dich damals für Tom entscheiden, Mia? Ausgerechnet Tom, diesen Wichser. Und warum in aller Welt hatte Rick diesen Auftrag angenommen? Er hätte sie schon auf dem Foto erkennen müssen. Aber sie hatte sich sehr verändert seit damals. Und sie war getarnt. Tom muss gewusst haben, dass er sie nicht töten könnte. Dieser Bastard. Wollte er ihn auf die Probe stellen?

Er steckte die Waffe in seine Jacke. Dann trat auch er in den Regen und fing an zu gehen. Wohin, das wusste er nicht. Er ließ seine Füße entscheiden. Einfach nur weg. Weit weg. Auch, wenn er wusste, dass es nichts bringen würde, sein Überlebenstrieb klammerte sich an diesen letzten Strohhalm. Weg, Rick. Geh einfach weg.

Irgendwann war er mit völlig durchnässter Kleidung in einem Banhofs-Café gelandet. Er hatte keine Ahnung, wie spät es war. Ihm war kalt. Er brauchte etwas, um sich zu wärmen und bestellte einen Kaffee.

Er blickt wieder in seinen Pappbecher, seufzt und trinkt den letzten Schluck aus. Dann geht er hinaus.

Es ist seltsam still draußen. Kein Auto, kein Mensch, kein Leben. Nur der Regen und das Kopfsteinpflaster und nun Ricks Schritte. Nach einigen Metern hört er eine bekannte Stimme hinter sich:
„Richard! Richard Stern!“
Niemand nennt ihn Richard. Niemand nennt ihn so, nichtmal seine Eltern. Nur einer nennt ihn Richard.
„Das war ein Fehler, Richard!“
Rick müsste sich eigentlich geschmeichelt fühlen. Tom kümmert sich selbst um die Sache. Doch Rick ist es egal. Er geht weiter ohne sich umzudrehen, ohne zu zögern. Er spürt kaum den Einschlag in seinem Rücken. Auch nicht den zweiten oder den dritten. Er hört nicht die Schüsse. Er konzentriert sich auf den Regen und geht weiter. Er konzentriert sich auf die unzähligen Tropfen. Sie fallen auf die Steine, prasseln davon ab, strömen in kleinen Rinnsalen in die Fugen und werden schließlich zu Miniaturseen aus Mondmilch. Mondmilch, die sich rosa färbt, als Rick aufs Pflaster niedersinkt.

Pfütze auf Kopfsteinpflaster.

© Hannes Hartl, 25. Juli 2018

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Ungestutzt

Bei dir
Hab ich
Wurzeln geschlagen

Bei dir
Wachs ich
Mich fest

Für dich
Muss ich
Nichts biegen
Oder brechen

Bei dir
Komm ich
Ungestutzt davon

Zwei Bäume.

© Hannes Hartl, 24. Juli 2018

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Einfach

Alles ist
Mit einem Mal
So leicht

So leicht
Als schwebten wir
Gemeinsam

Ich bin
Bei dir
Du bist
Bei mir

So einfach
Kann es sein
Das Leben

Kuschelndes Paar.

© Hannes Hartl, 18. Juli 2018

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Die Flügel des Eisvogels

Angeregt durch den Text „Die Tage des Eisvogels“ vom Odeon-Theater.

Kleine Flügel
Kräftiger Schlag
Mit metallblau
Glitzerndem Gefieder

Kleine Flügel
Werfen kleine Wirbel
Die sich sammeln
An den Felsen

Und schon
Spüren wir
Die ersten Böen
Vom Meere her

Kleine Böen
Die einst
Unschuldige, kleine
Flügelschläge waren

Kleine Böen
Die bald
Anfangen zu flüstern
Und zu raunen

Dann wird aus
Flüstern Gesang
Und aus
Raunen Geheule

Aus Böen werden
Plötzlich Stürme
Dem Vogel folgend
Ziehen sie übers Land

Eisvogel.

© Hannes Hartl, 18. Juli 2018

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Ruhe

Der Kopf findet
Wieder Ruhe
Lässt die Leere
Zwischen den Gedanken
Wieder zu

Nur noch Echos
Blitzen auf
Dann und wann
Als zerbrechliche
Hologramme

Doch ich muss
Ihnen nicht mehr
Nachspüren
Lasse sie ziehen
Wenn ich will

Mensch im Schneidersitz.

© Hannes Hartl, 16.Juli 2018

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Ausgelaugt

Jeden Tag
Dieses Gehetze
Dieses Bangen
Dieser Stress

Eine Umstellung
Wie ein Wirbelsturm
Stellt das Gewohnte
Auf den Kopf

Wirbelsturm.

Jeden Tag
Weniger Erholung
Weniger Zeit
Schlechtere Luft

Die Nerven behalten
Kostet Kraft
Geht an die Reserven
Laugt mich aus

© Hannes Hartl, 16. Juli 2018

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Was zählt

Jede Bewegung
Alles, was wir tun
Führt letzen Endes
Immer wieder zurück
Auf den Pfad
Den alle gehen müssen
Den wir ganz
Ohne Navi
Immer finden werden
Den wir oft
So sehr fürchten
Doch was nutzt
Die Furcht
Vor dem
Was das Gewisseste
In unserem Leben ist?
Denn was zählt
Ist doch der Weg
Sind die Abzweigungen
Die wir wählen
Die uns wählen
Sind die Gänseblümchen
Am Wegrand
Am Abgrund
Sind die vorsichtigen Schritte
Ins Ungewisse
In den Nebel des Tages
Was zählt
Ist nicht das Ende
Was zählt
Ist unser Sein

Sanduhr und Kompass.

© Hannes Hartl, 06.07.2018

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Defekt

Ein Programm mit Fehlern
Hängt in einer Schleife
Ein Wert ist nicht korrekt
Das Log hilft nicht weiter

Bin auf Fehlersuche
Muss in den Code eingreifen
Die Methode verändern
Die Parameter angleichen

Muss die Zeilen studieren
Mich umprogrammieren
Und zum Update mal
Den Neustart intiieren

Fehlermeldung.

© Hannes Hartl, 09.07.2018,

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Blicke

In einem Blick
Kann so viel
Stecken
Was niemals
Ausgesprochen wird

Augen.

Manche Blicke
Sucht man
Manchen
Weicht man
Eher aus

Manche Blicke
Sind verräterisch
Andere verführerisch
Oder vernichtend

Manchnal da
Verliert man
Den Blick
Für etwas
Verliert sich
In einem Blick

Manchmal wird
Der Blick
Getrübt
Und man blickt
Nichts mehr

Manchmal aber
Hat man den
Vollen Durchblick

©Hannes Hartl, 04.07.2018

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Im Schilf

Mitten im Schilf
Gleiten meine Hände
Nachdenklich
Über die festen
Halme

Doch vorsichtig
Muss ich sein
Die harte Kante
Der Blätter
Schneidet schnell

Zu hoch ist
Das Schilf
Für meine
Kinderaugen

Das Schilf
Wird zum Wald
Zu einer eigenen
Traumwelt

Dahinter
Die Nordsee
Deren salzige Brise
In der Luft steht

Weg im Schilf.

©Hannes Hartl 02.07.2018

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